Mir war alles egal...wenn die Lebensenergie weg ist...
Meine letzte Hochdosis-Chemo / Stammzelltransplantation brachte mich fast an den Abgrund. Ich war physisch und psychisch am Ende. Es nahm schon fast depressive Züge an, es
gab Zeiten, in denen mir alles egal war. Ich hoffte sogar stellenweise auf gravierende Komplikationen, wollte mich nicht mehr quälen (lassen), wollte meinen Frieden und hatte ein Stück weit mit
dem Leben abgeschlossen. Ich konnte und wollte nicht mehr kämpfen, sah keine Perspektive mehr, ich war ausgebrannt, leer. Dazu noch die neuerliche Sepsis, die
dauerhafte Übelkeit und Kreislaufschwäche.
Als ich in die Notaufnahme nach Ulm eingeliefert wurde (30.06.), nahm das Übel erst so richtig seinen Lauf. Wurde gleich an Infusionen (NaCl + Antibiotika) gehängt und an den Monitor angeschlossen. Der ganze Cocktail löste dann bei mir die Durchfälle aus, mit denen ich bis Ende letzter Woche zu kämpfen hatte - vom 30.06. an!
Der Durchfall setzte so plötzlich ein, dass es mir in dieser Nacht nicht mehr so ganz aufs Klo reichte, ich hatte also die Hosen voll. Selber sauber machen konnte ich mich nicht, da mir mein Kreislauf immer wieder zusammenkrachte. Mußte also von der Schwester ausgezogen, gesäubert und wieder angezogen werden. Ich sagte immer: "Solange man noch alleine aufs Klo gehen kann, ist alles noch ok" - so schnell kann es einen erwischen....
Im Übrigen war dies nicht die einzigste Hose, die in Mitleidenschaft gezogen wurde, das zog sich noch bis vor kurzem so durch - zwar nicht mehr "vollgefüllt", aber manch kleiner "Schucker" ließ sich nicht halten.
Dies trug nicht gerade zu einer Besserung meiner Stimmung bei, es war sehr belastend. Dieses Menetekel begleitete mich nun auch lange genug.
Als es dann wieder auf Normalstation ging, war ich vollends am Boden, ich lag eigentlich nur apathisch im Bett und zählte die Sekunden - es war unerträglich, ich kann nicht richtig beschreiben, wie ich mich fühlte. Wäre jemand reingekommen und hätte gesagt: "Hier hast Du eine Spritze, mit dieser ist alles vorbei," ich hätte sie liebend gerne genommen.....
Ich schrieb am Anfang der Therapie hier im Tagebuch, dass ich gespannt darauf bin, wie ich das alles physisch und psychisch wegstecke. Jetzt weiss ich, dass es einen direkt durch die Hölle führt. Ob ich mir Schwierigeres und Belastenderes vorstellen kann, ich wüßte nicht was - ich war kurz vorm zusammen-/zerbrechen, ging fast zugrunde.
Dann war die Therapie auch irgendwann endlich abgeschlossen und ich war entlassen, durfte heim (bzw. zu meiner Schwester). Jedoch ging es mir da nicht besonders gut. Kreislauf war am Arsch, Durchfall, Erbrechen, es war sehr belastend und ich fiel sehr schnell wieder in ein/das Loch.
Dann der Abend, an dem Matthias den Mann seiner Cousine "organisierte" - er ist Doktor und kam in seiner Freizeit anstandslos vorbei - Mike, dafür nochmals "Herzlichen Dank" (auch an Deine Anja). Er legte mir sofort eine Infusion und bestellte den Krankenwagen + organisierte meine Aufnahme in der Klinik, hat super geklappt!!!
Es war auch höchste Zeit für eine Einweisung in die Klinik, ich war gar nicht mehr klar im Kopf, war schon wieder in dieser "Endzeitstimmung" - wäre auch noch ein/zwei Tage länger liegen geblieben, dann wäre vielleicht endlich alles vorbei gewesen, hat mich gar nicht belastet oder mir Angst gemacht.....doch ich wurde wieder an den Tropf gehängt, Medikamentencocktail auf der Notaufnahme. Der putzte natürlich wieder richtig durch, diesmal war aber der Klostuhl greifbar.
Am nächsten Tag ging es dann auf Infektionsstation - Einzelzimmer, es wurde aber noch ein zweites Bett reingestellt, ich wollte und konnte nicht alleine sein. In den ersten Tagen ging es dann wieder nur auf den Klostuhl inkl. abwischen durch die Schwestern, ich hatte mal wieder jede Selbständigkeit verloren.
Meine Psyche war in dieser Zeit noch weiter unten als in Ulm. Hätte ich meine Gedanken offen ausgeprochen, sie hätten mich in die Geschlossene eingewiesen. Ich wollte nicht mehr, seit April war ich nur in Therapie, hatte keinen schönen Tag, keine Freude...
Meine Schwester erzählte mir von einer Frage/Bemerkung meiner Cousine. Sie fragte sie, ob es denn gut wäre, bei mir den Balkon aufzuschließen, nicht dass ich mir was antue. Für meine Schwester war dieser Gedanke abwegig, aber keineswegs für mich. In dieser Zeit hat nicht viel gefehlt und ich wäre gesprungen...diese Gedanken hielten sich auch ein paar Tage, es war schrecklich schwierig, aus diesem Loch wieder raus zu kommen.
Tja, das zum Thema: "....bin gespannt, wie ich es psychisch und physisch wegstecke...."
Das Ganze mit Abstand betrachtet ist für mich "faszinierend" - laßt es mich einfach so ausdrücken. Wie sich ein Mensch, der felsenfest im Leben steht, der alles bisherige gewuppt hat, auf einmal am Abgrund steht und sogar bereit war einen Schritt zuviel zu machen. Keine Sorge, diese Gedanken sind nicht mehr existent. Ich wollte es aber auf alle Fälle schreiben, so wie in der Einführung angekündigt: ungeschönt, offen, auch mal schockierend. Ich verstecke mich nicht, ich kann nichts für diese Gedanken, diese Gefühle - sie sind das Ergebnis aus vielen Vorkommnissen. Dass selbst ich meine Psyche nicht immer unter Kontrolle habe, das weiß ich nun - auch wenn ich darauf verzichten könnte.
Einmal Hölle und zurück, ich habe soviel Erfahrungen gesammelt und über mich gelernt, mich neu kennen gelernt. Die tiefen Abgründe, die sich vor einem auftun können, die Hilflosigkeit und Verzweiflung, die einen komplett blockieren und zugrunde richten können. Wahnsinnig, wie schnell man seine Lebensenergie und seinen Lebenswillen verlieren kann.
Es ist wie ein Strudel, der einen nicht los läßt, der einen weiter runter zieht. Was mich schlußendlich auftauchen und schwimmen ließ: ich weiß es nicht. Zum Glück bin ich doch mit einer wahnsinnigen Psyche gesegnet. Wem auch immer ich dies zu verdanken habe, es hat mir mehr als einmal das Leben gerettet.
Ich habe (so denke ich wenigstens ;-) keinen "Schaden" davon getragen, es belastet mich nicht mehr, ich bin am Planen, was ich in den kommenden Monaten so alles nachholen muss, ich "lebe" wieder: Golanhöhen mit Uwe (und Steffi? Sorry, ich habe zu spät realisiert ,dass du die Frau von Uwe bist), Sauerland (Uwe + Fa. Schulte), Gutschein Zugspitze (Matthias), Gutschein Schwarzwald (meine Sulzfelder), meinen Neffen Patrick in Graz besuchen (evtl. auch Frau Knödel, wenn es zeitlich hinhaut), Bacchus aus Hagnau mit Claudia und Axel trinken, meine Einladung bei der TSG wahrnehmen, Riparbello-Wein mit meinem Schwager trinken, Schnitzel in der Rose essen, Pfeife rauchen und Whiskey trinken (gell, Dani)....ich bin wieder an Bord und will Gas geben.
So schwierig und leidvoll die letzten Monate waren, so leicht lebt es sich dann ,wenn man dieses Tal durchschritten hat. Was soll mich noch groß schockieren oder aus der Bahn werfen? Eine neuerliche Chemo wird es für mich niemals mehr geben, dieses Thema ist erledigt und zu Ende gedacht. Ich habe meinen Frieden mit mir und der Welt, hört sich komisch an, ist aber für mich das erstrebenswerteste Lebensziel - mehr kann ich nicht erreichen, nichts ist für mich wichtiger. Die Ansichten ändern sich, das Leben verändert sich - ich bin wieder zufrieden und glücklich, auch wenn ich - noch!! - Treppen steige wie meine 80-jährige Tante Hilda......