Eintrag meiner Schwester, als ich nicht schreiben konnte
Hallo ihr Lieben,
melde mich vom kurzen "Heimaturlaub".
Wir waren bis 10h heute Morgen in der Notaufnahme (ich übrigens im Liegestuhl, nicht im kuscheligen Bett ;) ), danach ging es auf die Infektionsabteilung (dort für die kommende Nacht auch einen
Liegestuhl - aber besser wie nix :) ).
Martin hat gute Blutwerte (Leukos, Thrombos, Kalium etc. alles im grünen Bereich). Allerdings wurde heute Nacht ein Entzündungswert von 25 (in Ulm wären es 250 habe ich mir sagen lassen - fragt
mich nicht nach dem Namen des Eiweißwertes, alle die damit schon zu tun hatten wissen ihn bestimmt) festgestellt. Irgendetwas "arbeitet".
Zuerst Thorax röntgen (weil sich so ein ganz gemeiiiiiner Keim auf die Lunge setzen kann), kein Befund, scheint alles nicht darauf hinzudeuten.
Heute morgen dann Sono des Bauchraumes: Entzündung des Dickdarms, deutlich erkennbar.
Nun wird er mit Antibiotika behandelt - dasselbe, das Ulm bei den drei anderen Blutvergiftungen genommen hat - in der Hoffnung, dem Keim zu erwischen. Wahrscheinlich läuft es wieder auf eine
Sepsis raus, verursacht durch das Colibakterium. Die "Ursachenforschung" läuft mit Blutkulturen und Stuhlproben.
Wie es Martin geht? Heute hat er gesagt: "Ich hab keine Lust mehr!" Ich versteh ihn, aber aufgeben "gildet" (gilt) nicht, oder wie seht ihr das? Ich hab noch so viele Stunden Babysitting gut :),
nichts da!
Wie es mir geht? Mama schreibt, dass ich an meine Grenzen stoße. Das stimmt. Nicht weil Martin hier war/ist - er folgt aufs Wort :), macht das erste Mal in seinem Leben ALLES was ich sage - ein
unglaublich, unbekannte, durchaus befremdendes Gefühl ;-)
Ich stoße insofern an meine Grenzen, weil mir niemand sagen kann ob alles richtig ist was wir tun/getan haben. Hätte, wäre, wenn, das kleine Teufelchen das schreit: "Hätte man schon früher
reagieren sollen?" Entscheidungen zu fällen, abzuwägen ob jetzt die psychische Seite wichtiger ist oder die medizinische. Mein Wunsch ihm das KH zu ersparen. Sein Wunsch nicht ins KH zu müssen.
Aus dem Bauch heraus entschieden. Als ich ihn gestern Mittag gefragt habe, ob ich alles richtig mache, dass ich Angst vor einem Fehler habe hat er mich am Kopf gestreichelt und gesagt: "Du machst
alles richtig, ganz richtig!" Trotzdem zweifle ich in manchen Momenten.
Als er sein erstes Rezidiv hatte, schrieb er Elke und mir seine "Abendlichen Gedanken" in einem mail. Es ist/war ein sehr berührender Text (ich glaube der längste "Brief" den ich jemals von ihm
bekommen habe). Ich habe ihm damals schon versprochen mich in dem Fußballspiel des Lebens als Verteidiger auf den Ball zu stürzen um ihn zu verteidigen, auf dass wir gemeinsam als SIEGER vom
Spielfeld marschieren. Wir als Familie werden es gemeinsam schaffen und ihr helft uns alle mit Euren Worten und Taten!
Danke!
Werde mich jetzt duschen und dann wieder ins KH fahren. Er schreibt zwar kein Tagebuch, doch er liest ALLES im Gästebuch und es tut ihm gut!
Eintrag meiner Mutter
Am 12.7., 23.45 Uhr, wurde Martin mit dem Krankenwagen
in die Klinik in Göppingen gefahren. Seine Schwester
Birgit wurde für eine Nacht auch "stationär" aufgenommen.
So ist sie bei ihm und er nicht so ganz alleine bei
all dem, was heute Nacht noch auf ihn zukommt.
Und bei Bedarf ist sie bereit zu kämpfen - für ihren Bruder.
Ich fasse mich kurz (bringe medizinische Details in der
Berichterstattung gerne etwas durcheinander):
den ganzen Tag über hatte Martin niedrigen Blutdruck
(so um die 80/60) und Temperatur bis 38,5° - aber auch 35,6°.
Puls war immer so um 120. Als der von Matthias H. gerufene
Arzt (der Mann von seiner Cousine, er hatte an diesem Wochenende
keine Bereitschaft) bei Martin Puls 140 feststellte,
war seine Entscheidung klar fürs Krankenhaus:
ein einfach zu hoher Pulswert, der ein weiteres
Zuhausebleiben verantwortungslos machte.
Die diensthabende Ärztin in der Klinik wurde sofort von ihm telefonisch
informiert und sie erwartete Martin auf der Isolier-Station.
Für Birgit wurde ein Bett noch reingestellt.
Dieses Heute so und Morgen so: das ist für Martin eine unheimlich
harte Anspannung. Auch für uns und ganz besonders für Birgit, die
unendlich fürsorglich ist und rund um die Uhr für ihren Bruder da
ist. Sie stieß heute sehr hart auch an ihre Belastungsgrenze.
Gerade auch wegen der Unsicherheit, etwas falsch zu machen. Einfach
auch deswegen, weil man in der Volkshochschule keinen Kurs belegen
kann mit Schwerpunkt: "Wie pflege ich einen Hochdosis-Patienten nach
Beendigung der Therapie." Birgit könnte da bestimmt schon viele Fragen
richtig beantworten und keiner würde merken, dass sie dieses Fach
gar nicht studiert hat.
Nun wünsche ich Martin eine Nacht, die ihm Erleichterung verschafft.
Und dass sein geschundener Körper etwas Ruhe findet.
Und dass Birgit nicht daran zweifelt, alles richtig gemacht zu haben.